12.05.2021

Online-Vortragsreihe „Die Pandemie und ihre Auswirkungen auf unsere Psyche“ der Oberberg Gruppe: „Angst – Die primäre emotionale Reaktion auf die pandemische Bedrohung“

Am 5. Mai 2021 fand der fünfte Teil der Online-Vortragsreihe „Die Pandemie und ihre Auswirkungen auf unsere Psyche" der Oberberg Gruppe statt. Dr. Bastian Willenborg (Berlin Brandenburg & Berlin Kurfürstendamm) widmete seinen Vortrag dem Thema Angst mit Bezug zur Corona Pandemie. In dem Referat wurden Angst und Angsterkrankungen, epidemiologische Fakten im Rahmen der Pandemie sowie der pandemiebedingte psychische Risikozustand erörtert. Mit einem Fallbeispiel aus der Klinik und den klinischen Konsequenzen aus den bisherigen Erfahrungen schloss Dr. Willenborg seinen Vortrag ab. Anschließend wurden Fragen der Zuhörerinnen und Zuhörer beantwortet. Moderiert wurde die Diskussion von Prof. Dr. Christine Knaevelsrud (Berlin).

Die Online-Vortragsreihe läuft bis zum 16. Juni 2021. Jeden zweiten Mittwoch von 18:30 bis 20:00 Uhr können Interessierte die Vorträge live über Zoom verfolgen. Die Veranstaltungen der Vortragsreihe sind von der Ärztekammer Berlin mit 2 CME-Punkten pro Teilnahme akkreditiert, die wissenschaftliche Leitung liegt bei Prof. Dr. Dr. Matthias J. Müller (Berlin). Alle Vorträge der Veranstaltungsreihe werden im Nachgang auf YouTube (https://www.youtube.com/watch?v=6AMCpVZVlCU&t=3348s) und in die Mediathek der Oberberg Gruppe (https://www.oberbergkliniken.de/veranstaltungsreihe-pandemie-und-psyche/mediathek) eingestellt. Die Übersicht über die noch folgenden Vorträge und weitere Informationen finden sich auf der Webseite.


Dr. Bastian Willenborg ist Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Er ist Ärztlicher Direktor und leitet als Chefarzt die Oberberg Fachklinik Berlin Brandenburg und die Oberberg Tagesklinik Kurfürstendamm. Am Anfang des Vortrags erläuterte der Experte die Themen Angst und Angsterkrankungen im Allgemeinen, um das Publikum aus rund 650 Fachleuten und interessierten Laien abzuholen.


Zunächst ging es um die Einordnung von Angst. So ist Angst eine Basisemotion, die für das Überleben wichtig und daher sinnvoll und notwendig ist. Es gibt zudem auch Angst, die positiv bewertet wird. So können etwa körperliche Reaktionen der Angst (z. B. erhöhter Herzschlag, „weiche“ Knie) in einem besonderen Kontext auch als angenehm empfunden werden. Das trifft bei manchem u.a. beim Achterbahnfahren, Fallschirmspringen oder Gruselfilme anschauen zu. „Angst kann also, je nachdem, wie sie bewertet wird, eine unterschiedliche Konnotation haben“, betonte Dr. Willenborg.


Angststörungen
Wann wird aus Angst eine Angststörung? Zum einen, wenn die Angst im Vergleich zur tatsächlichen Bedrohung unangemessen oder deutlich übertrieben wahrgenommen wird. Zum anderen, wenn sie zu einer erheblichen physischen und körperlichen Reaktion führt, die Einschränkungen in ganz unterschiedlichen Lebensbereichen nach sich zieht. Angsterkrankungen sind Erkrankungen, die häufig auftreten.


15 Prozent der Menschen haben eine Art von Angsterkrankung. Zu ihnen zählen u.a. Panikstörungen, Agoraphobie („Platzangst“), soziale Phobien und die generalisierte Angststörung. „Die generalisierte Angststörung kann im Zuge der aktuellen Pandemie eine wichtige Rolle spielen“, sagte Dr. Willenborg. Diese Erkrankung ist durch eine anhaltende Angst und exzessive Besorgnis in Bezug auf ganz unterschiedliche Lebensbereiche wie Familie, Finanzen, Arbeit oder Gesundheit gekennzeichnet. Die generalisierte Angst führt dazu, dass eine gesteigerte Aufmerksamkeit auf negative Prozesse gelegt und Positives nicht mehr gesehen wird. Diese Angststörung hat eine Neigung zur Chronifizierung.


Was viele Angsterkrankungen gemein haben, ist der Zusammenhang zwischen Anspannung und Stress einerseits, und Angst und Angstattacken andererseits. Dr. Willenborg stellte zur Veranschaulichung ein Stressverlaufsmodell vor. Die Idee des Modells: Je höher die Grundanspannung bei einem Menschen ist, desto geringer müssen alltägliche Stressoren (beispielsweise eine laute Sirene) ausgeprägt sein, um die Angstschwelle zu durchbrechen.


In Bezug auf die Pandemie ließe sich sagen, dass diese auf das Anspannungsniveau Einfluss nehme, aber sie gleichzeitig auch als Stressor wirke. Durch die Pandemie bzw. der wegen ihr geltenden Einschränkungen fehlten Menschen zudem Möglichkeiten, wie z. B. Mannschaftssport oder Freunde treffen, die sonst dazu genutzt würden, Anspannung zu reduzieren. Dr. Willenborg schlussfolgerte, dass sich so nachvollziehen ließe, warum Angsterkrankungen und Angst vermehrt auftreten könnten. Dies wurde auch an einem Fallbeispiel aus der Klinik verdeutlicht.


Klinische Konsequenzen der bisherigen Erfahrung
„Viele ängstliche Reaktionen auch im Rahmen der Pandemie sind vielleicht primär erstmal nicht krankheitswertig“, so Dr. Willenborg. Aus der Depressions-Leitlinie kommt der Begriff Watchful Waiting. Dies bedeutet, dass man in Kontakt bleibt, man pathologisiert aber auch nicht zu schnell, sondern schaut, ob oder wie sich die ängstlichen Reaktionen im Verlauf entwickeln. Bei Ängsten im Kontext der Pandemie gilt es, Resilienzfaktoren zu fördern und Risikofaktoren, wenn beeinflussbar, abzumildern. So lässt sich beispielsweise der Medienkonsum selbst zeitlich einschränken.


Bei der Behandlung von generalisierten Angsterkrankungen müssen Sorgen konkretisiert und verbildlicht werden, um eine emotionale Verarbeitung zu ermöglichen. Mit den Patienten werden unter anderem Positiv-Assoziationen geübt sowie Problemlösefertigkeiten und Entspannungsverfahren trainiert. Ein Bestandteil der Therapie ist zudem die Arbeit mit Wahrscheinlichkeiten. Patienten sollen hinterfragen, ob ihre Reaktion angesichts der Wahrscheinlichkeit adäquat ist.


Auch die Sorgenexposition, die Konfrontation mit den Sorgen, betonte Dr. Willenborg als wichtiges Mittel. Sorgen zu konkretisieren sorgt für Reduktion von Bedrohlichkeit. Die Idee dahinter: Auch die Vorstellung des schlimmsten möglichen Zustandes erzeugt irgendwann nicht mehr das Maximum an Angst, Habituation findet statt. Letztendlich ist aber auch die Akzeptanz eines Restrisikos in der Therapie wichtig. Am Ende des Vortrags entstand, unter wissenschaftlich fundierter Moderation von Frau Prof. Knaevelsrud, eine rege Diskussion zwischen den Zuhörerinnen und Zuhörern und dem Referenten.


Am 19. Mai 2021 um 18:30 Uhr setzt Priv.-Doz. Dr. Andreas Wahl-Kordon, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Ärztlicher Direktor der Oberbergklinik Schwarzwald, die Vortragsreihe der Oberberg Gruppe fort. Er referiert zum Thema „Wenn zwanghaftes Verhalten plötzlich zur Normalität wird – wie wirkt sich die Pandemie auf Zwangsstörungen aus?“ Die Moderation der anschließenden Fragerunde übernimmt Prof. Dr. Martin Bohus (Mannheim). Anmeldungen für den Zoom-Vortrag sind unter folgendem Link möglich: https://zoom.us/webinar/register/WN_yyR5bMwkQvWtJm9MoJ4uLQ