Bei Ängsten, bei depressiven Verstimmungen oder bei der Bewältigung von Trauer kann es schwer sein zu erkennen, was genau gerade in Seele und Körper vor sich geht - besonders dann, wenn keine vergleichbaren Erfahrungen zur Verfügung stehen. Die Bibliotherapie offeriert Möglichkeiten, diese Kluft zu überwinden und unseren Emotionen auf die Spur zu kommen. Sie nutzt Literatur, um Unterstützung und Anleitung in Form von Büchern und Erzählungen oder durch das Schreiben eigener Texte zu bieten.

Definition Wort und Schrift - Kreativität im therapeutischen Setting einer Bibliotherapie

Biblio- und Poesietherapie werden in der Regel als begleitende Behandlungsmethoden eingesetzt. Sie nutzen Bücher und andere Formen der Literatur sowie das eigene Schreiben - zum Beispiel in Form von Biographiearbeit - um die psychische Gesundheit des Patienten zu fördern. Die von Therapeuten/Therapeutinnen empfohlenen Bücher können jedes Genre oder Thema umfassen, von Philosophie über belletristische Literatur, Gedichte oder Memoiren bis hin zur Selbsthilfe.

Die Lektüre ausgewählter literarischer Werke und das Gespräch darüber können auf vielerlei Weise helfen. Zum Beispiel kann es leichter fallen, auch andere Sichtweisen als die eigene zu verstehen, eine schwierige Vergangenheit oder beunruhigende Beschwerden zu verarbeiten oder Gefühle der Hoffnung, Zufriedenheit und Empathie zu erleben. Als gesichert gilt, dass das Lesen und/oder Schreiben das Verfassen eigener Texte das Selbstwertgefühl, die Selbstwahrnehmung und das Gefühl der Selbstwirksamkeit verbessern können.

"Komm und wähle aus meiner ganzen Bibliothek und lindere so deinen Kummer." William Shakespeare

Der bibliotherapeutische Ansatz: Literatur als therapeutisches Mittel.
Lesen wirkt sich in der Regel positiv auf das Einfühlungsvermögen sowie auf das Bewusstsein für andere Menschen aus und kann so das Denken, Fühlen und Handeln verändern. Eine Figur oder eine Situation wiederzuerkennen oder sich mit ihr zu identifizieren, kann dabei helfen, Einsichten zu entwickeln und neue Perspektiven zu gewinnen, die zu Veränderungen führen. Die meisten in Bibliotherapie ausgebildeten Therapeuten verfügen über eine sich ständig erweiternde Liste von Büchern, die sich auf verschiedene Themen beziehen.


Der poesietherapeutische Ansatz: sich dem Unsagbaren mit Worten nähern
Bei der Poesie- oder Schreibtherapie werden Klienten/Klientinnen dazu angeleitet, eigene Texte zu verfassen. Als kreative Behandlungsmethode kann sie, ähnlich wie Kunst- oder Musiktherapie, allein oder in Kombination mit einer Psychotherapie angewendet werden. Diese schriftbasierte Therapieform ist für eine Vielzahl von Krankheitsbildern geeignet, für deren Linderung oder Heilung es hilfreich ist, eine eigene Ausdrucksweise für ein unaussprechliches Ereignis zu entwickeln. Für Menschen, die an Psychosen erkrankt sind, ist das Schreiben erfahrungsgemäß weniger geeignet. Zumindest besteht hier ein erhöhtes Risiko, durch das Verfassen fiktiver Geschichten in eine Psychose abzugleiten.

Behandlungsziele Behandlungsziele der Bibliotherapie

Allgemein gesagt, geht es im bibliotherapeutischen Prozess um die Verringerung negativer Emotionen und Symptome sowie deren Ersetzung durch positivere Verhaltensweisen und Gefühle. Zu den Behandlungszielen gehören unter anderem

  • die Förderung der Lösungskompetenz für Probleme,
  • die Steigerung des Mitgefühls,
  • die Entwicklung von einfühlsamem Verständnis,
  • die Verbesserung des Selbstbewusstseins,
  • die Entwicklung von mehr Sicherheit im Sozialverhalten,
  • die Klärung von persönlichen Werten.

Evidenz Evidenz der Bibliotherapie

Zahlreiche Veröffentlichungen in medizinischen und psychologischen/psychotherapeutischen Fachzeitschriften zeigen die Wirksamkeit der Bibliotherapie. Gerade neuere Untersuchungen belegen, dass dieser therapeutische Ansatz bei der Bewältigung eines breiten Spektrums psychologischer, emotionaler und sozialer Probleme helfen kann. So zeigte zum Beispiel Studie der Université du Québec, dass eine psychologische Intervention, die durch Bibliotherapie mit minimaler therapeutischer Unterstützung selbst durchgeführt wird, das körperliche und emotionale Erleben von Erwachsenen, die mit chronischen Schmerzen leben, qualitativ verbessern kann.

"Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns." Franz Kafka
 

Biblio- und Poesietherapie in der therapeutischen Praxis

Während Lesen in der Regel das Wohlbefinden steigert, kann eine gezielte Bibliotherapie insbesondere bei den folgenden Problemen und Erkrankungen hilfreich sein:

  • Ängste
  • Depressionen
  • Essstörungen
  • existentielle Problemfelder, zum Beispiel Gefühle von Isolation oder Sinnlosigkeit
  • Beziehungsprobleme
  • Suchtstörungen
  • posttraumatischer Belastungsstörung


Zudem kann Bibliotherapie auch bei der Bewältigung von Wut, beim Erlernen sozial angemessenen Verhaltens und dem Umgang mit der eigenen Schüchternheit unterstützend wirken. In der Regel können auch Fragen zum Umgang mit Trauer oder Ablehnung sowie Probleme mit Rassismus, Sexismus und Altersdiskriminierung im bibliotherapeutischen Setting geklärt werden.

 

Weitere Anwendungsbereiche der Bibliotherapie

Im institutionellen Rahmen lassen sich zwei Zweige der bibliotherapeutischen Arbeit unterschieden, wobei die Grenze fließend verläuft. Die entwicklungsorientierte Bibliotherapie wird in der Gemeinschaft oder im Bildungsbereich eingesetzt, um Kindern oder Erwachsenen zu helfen, mit Herausforderungen im täglichen im Leben umzugehen, zum Beispiel mit Mobbing. Klinische oder therapeutische Bibliotherapie ist die Verwendung von Büchern in einem professionellen Therapiekontext. Hier wird sie eingesetzt, um eine diagnostizierte Störung zu behandeln oder zumindest die negativen Auswirkungen einer psychischen oder körperlichen Störung zu lindern.

"Ich schreibe, um herauszufinden, was ich weiß." Mary Flannery O'Connor

Therapieform Wie verläuft eine bibliotherapeutische Sitzung?

Therapie mit dem Medium Literatur bedingt eine dynamische Interaktion zwischen einem Buch, einer Therapeutin/einem Therapeuten und der Klientin/dem Klienten. Zunächst werden die Probleme oder Stressbereiche abgeklärt, bei deren Bewältigung Hilfe erfolgen soll, dann empfiehl der/die Behandler/-in ein Buch oder eine Geschichte. Bei der Auswahl wird darauf geachtet, dass die Lektüre einen direkten Bezug zu den angesprochenen Problemen hat, die Identifikation mit einem der Protagonisten des Romans oder der Geschichte möglich ist. Therapeut/-in und Klient/-in kommen dann wieder zusammen, um zu erörtern, wie der Protagonist mit seinen Problemen umgegangen ist, ob die Lösung oder die Lösungen im Buch auf die Situation der Klientin/ des Klienten anwendbar sind, ob sich neue Fragen aufgetan beziehungsweise besondere emotionale Auswirkungen ergeben haben.

 

Bibliotherapie in den Oberberg Kliniken Bibliotherapie - ein Angebot in den Oberberg-Kliniken

 

Jeder Patient und jede Patientin in den Fachkliniken der Oberberg Gruppe wird im Rahmen eines von unserem multiprofessionellen Fachpersonal individuell abgestimmten Therapiekonzepts behandelt. Therapie mit Büchern und Schreibtherapie sind mögliche Module im Verlauf des Heilungsprozesses. Natürlich stehen wir bereits im Vorfeld gerne für eine ausführliche Beratung zur Verfügung.

Kontakt aufnehmen Sie können sich jederzeit an uns wenden – vertrauensvoll und diskret

Sie möchten mehr Informationen zu unserem Behandlungsangebot, zur Ausstattung in den Kliniken oder zum Tagesablauf in einer unserer Kliniken? Dann würden wir uns freuen, wenn Sie mit uns persönlichen Kontakt unter der Telefonnummer 0800 5577330 (gebührenfrei) aufnehmen. Außerhalb Deutschlands wählen Sie bitte +49 30 20867301-0. Wenn Sie einen Rückruf für ein persönliches Gespräch vereinbaren möchten, füllen Sie bitte das Kontaktformular aus. Wir werden uns dann schnellstmöglich bei Ihnen melden.

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FAQ zur Bibliotherapie

Gedichte sind eines unter mehreren Medien in poesietherapeutischen Sitzungen. Allerdings liegt der Fokus in der Poesie- oder Schreibtherapie auf dem Verfassen eigener Texte. Das können Gedichte sein, aber auch die Entwicklung von Geschichten oder Biographiearbeit. Der Name der Therapieform ist eine direkte Übersetzung des US-amerikanischen Begriffs "poetry therapy".

 

Bibliotherapie ist von besonderem Interessen für
- Menschen, die mit psychologischen und emotionalen Problemen wie Depressionen, Stress und Ängsten zu kämpfen haben,
- Menschen, die Schwierigkeiten mit den verschiedenen Übergängen in Beziehungen, Familien und individuellen Lebenszyklen haben,
- Menschen, die unter Krankheiten oder einer Behinderung leiden,
- Menschen, die an nicht-medikamentösen Behandlungen interessiert sind, die ihnen helfen, seelische Belastungen zu bewältigen.

 

Obwohl die Bibliotherapie Personen aller Altersgruppen mit den unterschiedlichsten Bedürfnissen zugutekommen kann, kann sie nur dann wirken, wenn die/der Betreffende Freude am Lesen hat und bereit ist, sich mit einem oder mehreren anderen auszutauschen. Wenig Sinn macht Sie in der Regel für Patienten oder Patientinnen mit eingeschränkter Auffassungsgabe oder sehr kurzer Aufmerksamkeitsspanne, die beispielsweise nach einem Schlaganfall eintreten können. Für Menschen, die Probleme damit haben, Realität und Fantasie zu unterscheiden (zum Beispiel im Zuge von psychotischen Episoden), sind kreatives Schreiben oder Biographiearbeit in der Regel ebenfalls nicht geeignet.

 

In Deutschland bieten mehrere Institute eine Weiterbildung in Biblio- und Poesietherapie an, darunter die EAG (Europäische Akademie für Integrative Psychotherapie) und Literaturpower. Die Ausbildung besteht in der Regel aus mehreren Stufen: einer Grundstufe, einer Aufbaustufe und einer Zertifikatsstufe. Eine weitergehende therapeutische Zusatzqualifikation zum/zur klinischen Bibliotherapeuten/ Bibliotherapeutin ist Personen mit professionellem therapeutischen Hintergrund vorbehalten.

Kelda Green (2022). Rethinking Therapeutic Reading: Lessons from Seneca, Montaigne, Wordsworth and George Eliot. London, New York: Anthem Press

Michael Schulz et al (2019). Bildung ergänzt Therapie: Recovery-orientierte Lernsettings zur Förderung der Genesung und Prävention psychischer Krankheit. In: Et cetera PPP: Psychopathologie, Psychotherapie, Psychopharmakologie. Bern: Verlag Berner Fachhochschule, Departement Gesundheit Forschung & Entwicklung Pflege

Claudia J. Schulze (2022). Bibliotherapie und Werte: Ergänzende Ansätze bei Posttraumatischer Belastung. Norderstedt: BoD - Books on Demand

Josee Veillettem et al, Université du Québec à Trois-Rivières (2019). A Randomized Controlled Trial Evaluating the Effectiveness of an Acceptance and Commitment Therapy-Based Bibliotherapy Intervention among Adults Living with Chronic Pain. in: Canadian Journal of Pain 3(1). Abstract verfügbar unter https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/24740527.2019.1678113

Weiterbildung Integrative Poesie- und Bibliotherapie. Grundstufe, Aufbaustufe, Zertifikatsstufe, Therapeutische Qualifizierungsstufe. Europäische Akademie für bio-psycho-soziale Gesundheit, Naturtherapien und Kreativitätsförderung EAG. Verfügbar unter: https://www.eag-fpi.com/.