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Psychische Erkrankungen und Diabetes - wenn Seele und Stoffwechsel gemeinsam leiden

Mit dem Begriff Diabetes wird eine Störung des Stoffwechsels bezeichnet, deren Hauptmerkmal ein erhöhter Blutzuckerspiegel ist. Ursächlich dafür ist entweder eine gestörte Insulinbildung (Diabetes mellitus Typ 1) oder eine gestörte Insulinwirkung (Diabetes mellitus Typ 2). Erhöhte Blutzuckerwerte können bei beiden Diabetesformen mit Folgeerkrankungen der großen und kleinen Gefäße einhergehen. Dies betriff vor allem die Augen (Retinopathie), die Nieren (Nephropathie), das Nervensystem (Neuropathie) sowie das gesamte Gefäßsystem (Arteriosklerose).

In den letzten Jahrzehnten hat das medizinische Wissen über den Diabetes und seine Behandlung rasant zugenommen und zu einer deutlichen Verbesserung der Behandlungsmöglichkeiten geführt. Dennoch ist die medizinische Versorgung von Diabetikern nach wie vor unbefriedigend, da viele Betroffene das Ziel einer guten Blutzuckereinstellung nicht erreichen. Dies gilt insbesondere für Menschen mit depressiven Störungen.

Symptome depressiver Störungen

Hauptsymptome einer depressiven Episode sind eine depressive, gedrückte Stimmungslage, eine Minderung des Antriebs und ein Verlust an bisher gelebten Interessen. Dazu kommen oft eine verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit, ein vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen sowie negative, pessimistische Zukunftsgedanken und Schlafstörungen.

 

Es gibt eine Reihe von Screeninginstrumenten, die gut geeignet sind, depressive Symptome zu identifizieren. Der „Gesundheitspass Diabetes“ der Deutschen Diabetesgesellschaft enthält als Depressionsscreening den WHO-5-Fragebogen. Dieser kann unter www.diabetes-psychologie.de kostenfrei eingesehen werden. Hier ist auch der PAID- Fragebogen abrufbar, der Problembereiche bei der Diabetesbehandlung erfasst. Bei positiven Screeningbefunden sollte zunächst ein diagnostisches ärztliches Gespräch erfolgen. Oft ist jedoch die Diagnose einer depressiven Störung bei Diabetikern erschwert. Zahlreiche Beschwerden können Ausdruck sowohl der Diabeteserkrankung als auch einer depressiven Störung sein. Beschwerden wie Schwäche, erhöhte Ermüdbarkeit, Apathie, Angst, sexuelle Probleme, Schlafstörungen, Appetitverlust und Gewichtsabnahme treten sowohl im Rahmen einer depressiven Störung wie auch stoffwechselbedingt auf.

Hauptsymptome einer depressiven Episode:
  • depressive, gedrückte Stimmung
  • Interessenverlust und Freudlosigkeit
  • Verminderung des Antriebs mit erhöhter Ermüdbarkeit (oft selbst nach kleinen Anstrengungen) und Aktivitätseinschränkung
Zusatzkriterien einer depressiven Episode
  • verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit
  • vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen
  • Schuldgefühle und Gefühle von Wertlosigkeit
  • negative und pessimistische Zukunftsperspektiven
  • Schlafstörungen
  • Verminderter oder vermehrter Appetit
  • Suizidgedanken

 

Porträtfoto Priv.-Doz. Dr. med. Andreas Jähne – Ärztlicher Direktor Oberberg Fachklinik Rhein-Jura
PatientInnen die sowohl an Depressionen wie auch an Diabetes leiden, bedürfen unserer besonderen Fürsorge. Beide Erkrankungen gehen oft Hand in Hand und müssen gemeinsam behandelt werden. Insbesondere Psychopharmaka müssen passgenau auf die PatientInnen abgestimmt werden.
Priv.-Doz. Dr. med. Andreas Jähne
Chefarzt und Ärztlicher Direktor Oberberg Fachklinik Rhein-Jura und Tagesklinik Lörrach

Fallbeispiel:
Frau S., 57 Jahre, leidet seit 17 Jahren an einem Typ 2 Diabetes, seit 2005 muss sie Insulin spritzen. Ihre Stimmung sei seit Monaten im Keller, bei den geringsten Anlässen müsse sie weinen Bereits seit über 3 Jahren habe sich ihre Situation als Lehrerin in der Schule immer mehr verschlechtert. Nach den Sommerferien sei es am ersten Schultag wieder zu einem Zusammenstoß mit einer Kollegin gekommen. Danach habe sie das Gefühl bekommen, die Schule überfordere sie, sie könne „dort nicht mehr hin“. Ihr Psychiater habe sie arbeitsunfähig geschrieben, eine ambulante Psychotherapie einmal pro Woche sei begonnen worden, leider ohne Erfolg.  Sie sei zu nichts mehr in der Lage, habe keinerlei Antrieb mehr, könne sich nicht mehr konzentrieren und nicht mehr durchschlafen. Die Tagesstruktur sei ihr entglitten, sie sei nur noch am Grübeln. Dazu komme es immer wieder zu Blutzuckerentgleisungen nach oben und unten, obwohl sie sich solche Mühe gebe. 3x täglich spritze sie Kurzzeitinsulin in hohen Dosen (bis 20 Einheiten) vor den Mahlzeiten sowie ein Basalinsulin zur Nacht. Seit einigen Monaten trage sie einen Blutzuckersensor am Oberarm. Eine Auswertung des Speichers zeigte in den letzten 6 Wochen 25 Unterzuckerungen. Die Blutzuckerwerte schwankten zwischen 57 und 262 mg/dl (normale Werte liegen zwischen 90 und 140mg/dl).


Im Rahmen der stationären Behandlung in unserer Klinik berichtete die Patientin von einer schwierigen Entwicklungsgeschichte als unerwünschtes Kind mit vier älteren Geschwistern. Gewalt und Abwertung seien in ihrer Herkunftsfamilie an der Tagesordnung gewesen. Fürsorge und Schutz habe sie weitgehend vermisst. Die daraus folgenden Grundannahmen: „Ich muss Trauer unterdrücken“, „Ich muss Konflikte vermeiden, sonst werde ich abgelehnt“, konnten im Rahmen der Einzelpsychotherapie intensiv bearbeitet werden. Im Rahmen der Gruppenpsychotherapie gelang es der Patientin, ihre Konflikt- und Kommunikationsfähigkeit zu verbessern. Begleitend zu dem psychotherapeutischen Prozess fand eine regelmäßige diabetologische Begleitung statt, in deren Verlauf die Patientin ihr Ernährungs- und Bewegungsverhalten umstellen und während des stationären Aufenthaltes sieben Kilogramm an Gewicht abnehmen konnte.
Die Insulindosis konnte deutlich verringert werden bei insgesamt deutlich gebesserten Blutzuckerwerten. Unterzuckerungen traten keine mehr auf. Vor Entlassung fand sich die schwere depressive Episode weitgehend zurückgebildet. Eine stufenweise berufliche Wiedereingliederung konnte eingeleitet werden.
 
Wie geht es unserer Patientin ein Jahr nach dem stationären Aufenthalt?
In Rahmen einer telefonischen Nachbefragung berichtet Frau S., ihr Gewicht und ihre Blutzuckerwerte weitgehend gehalten zu haben. Unterzuckerungen habe sie keine mehr. Die berufliche Wiedereingliederung sei erfolgreich verlaufen, sie arbeite wieder 25 Stunden pro Woche. Im Gegensatz zu früher lasse sie sich aber nicht mehr alles mit sich machen, sondern habe gelernt, sich erfolgreich abzugrenzen und zu wehren.

Gemeinsames Auftreten von Diabetes und Depression

Beide Erkrankungen habe eine Reihe gemeinsamer Risikofaktoren. So gehen soziale Isolation, Schlafstörungen und chronische Stresszustände mit einem erhöhten Depressions- und Diabetesrisiko einher. In beiden Gruppen finden sich vermehrt Kindheitsbelastungsfaktoren und frühkindliche Traumatisierungen.

 

Belastungen durch den Diabetes
Die Angst vor Folgeerkrankungen und Unterzuckerungen, aber auch das erlebte Scheitern und das Gefühl der Hilflosigkeit beim Bemühen um eine gute Blutzuckereinstellung sind die stärksten Belastungen im Zusammenhang mit der Diabetesbehandlung. Diese können zu einer erheblichen seelischen Beeinträchtigung und zu Problemen der Diabetesbehandlung führen.
Depressive Störungen kommen bei Diabetikern doppelt so häufig vor wie in der Allgemeinbevölkerung. Von besonderer Bedeutung ist dabei, dass depressive Diabetiker in der Regel höhere Blutzuckerwerte haben und somit von den Folgeerkrankungen deutlich häufiger betroffen sind. Bei depressiven Diabetikern ist damit die Lebensqualität oft erheblich reduziert. Sie schaffen es oft nicht mehr, den Diabetes selbst gut zu managen. Ein zusätzliches Problem besteht darin, dass die Behandlung mit Psychopharmaka mit einem verstärkten Übergewicht einhergehen kann, was die Blutzuckerwerte, den Blutdruck und die Blutfette zusätzlich verschlechtert. Somit bilden Diabetiker mit einer psychiatrischen Begleiterkrankung eine Hochrisikogruppe hinsichtlich Diabeteskomplikationen. Typische Erlebnisweisen von PatientInnen mit Diabetes und Depression sind Gedanken wie: „Ich bin viel zu erschöpft, um mich um den Diabetes zu kümmern“ oder „Es macht sowieso keinen Sinn“.

Belastung durch Diabetes

Auslöser diabetesbezogener Belastungsreaktionen können sein:

  • Misserfolg bei erforderlichen Umstellungen des Lebensstils
  • Misserfolgserlebnisse bei der Diabetestherapie
  • Erfahrungen von Überforderung/Hilflosigkeit
  • Unterzuckerungen
  • Entwicklung von Folgeerkrankungen / Komplikationen
  • Einschränkungen bei der Berufsausübung / Berufswahl
Ganzheitliche Therapie

Menschen mit Diabetes sind LangzeitpatientInnen. Ihre Bindung an den Hausarzt oder Diabetologen ist sehr groß. Bei leichten und mittelschweren depressiven Störungen kann der betreuende Arzt die Behandlung zunächst im Rahmen einer psychosomatischen Basisversorgung durchführen. Regelmäßiges körperliches Training kann bei PatientInnen mit leichter bis hin zu schwerer depressiver Symptomatik eine Besserung der depressiven Beschwerden unterstützen. Die Bewegung hat auch in aller Regel einen positiven Effekt auf die Behandlung des Diabetes. Diabetesschulungsprogramme können helfen, wenn sich die depressive Symptomatik vor dem Hintergrund einer diabetesbezogenen Belastung entwickelt. Auch die Psychotherapie steht im Einzel- und Gruppensetting in der ambulanten Versorgung zur Verfügung. Viele Studien haben gezeigt, dass auch bei PatientInnen mit Diabetes eine Psychotherapie die depressive Symptomatik deutlich reduzieren kann. Bei schweren depressiven Störungen empfiehlt die nationale Versorgungsleitlinie den zusätzlichen Einsatz von Antidepressiva. Nahezu 60% der PatientInnen profitieren von einer antidepressiven Psychopharmakotherapie.

 

Eine stationäre Behandlung in einer Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und psychosomatische Medizin ist angezeigt, wenn

  • der Erfolg der ambulanten Therapie massiv durch äußere Lebensumstände behindert wird.
  • eine Herausnahme aus einem schwierigen Umfeld notwendig ist.
  • die depressionsbedingte Isolation droht.
  • die depressive Störung sich unter ambulanten Therapien nicht bessert.

Angesichts der erheblichen Auswirkungen von psychischen Erkrankungen auf den Diabetes ist ein ganzheitlicher Behandlungsansatz erforderlich. Patienten benötigen fachkundige und tatkräftige Unterstützung, um mit Depression und Ängsten besser zurechtzukommen, selbst Verantwortung für ihre Gesundheit zu übernehmen und die oft notwendigen Lebensstiländerungen mit gesundem Essen und mehr körperlicher Bewegung im Alltag umzusetzen.

 

Im Rahmen eines psychosomatischen und diabetologischen Coaching unterstützen wir unsere PatientInnen, mit Depressionen und Ängsten besser zurechtzukommen und gleichzeitig mit dem Diabetes besser leben zu lernen
Dr. med. Johannes Bauer
Internist, Diabetologe DDG (Deutsche Diabetes Gesellschaft) und leitender Arzt Psychosomatik Oberberg Fachklinik Rhein-Jura

Zertifizierung hat sich gelohnt!

Seit Dezember 2019 ist die Oberberg Fachklinik Rhein-Jura als eine von wenigen psychiatrischen Fachkliniken in Deutschland als „Klinik für Diabetespatienten geeignet“ seitens der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) zertifiziert. Dabei wurden alle MitarbeiterInnen des Pflegeteams hinsichtlich der Erkrankung Diabetes mellitus geschult und die Abläufe den DDG Kriterien angepasst. Bereits am Tag der Aufnahme wird bei jedem Patienten routinemäßig der Blutzucker gemessen. Ist der Wert deutlich verändert (Unterzucker oder Blutzucker über 200 mg/dl), erfolgt zeitnah ein diabetologisches Konsil. Auf der Basis aller Untersuchungen und Gespräche mit dem Patienten kann nun ein individueller Therapieplan entwickelt werden. Bei  PatientInnen mit Typ-1-Diabetes steht dabei die Optimierung der Insulintherapie im Fokus. Bei Typ-2-DiabetikerInnen  erfolgt zunächst eine Beratung und Unterstützung bezüglich einer Änderung des Lebensstils. Ist dies nicht ausreichend, kommen moderne Diabetestherapien wie SGLT-2-Hemmern (Zuckerausscheidung über die Niere) und GLP-1-analoga (Darmhormonspritze  1x /Woche) zum Einsatz, die eine Gewichtsabnahme begünstigen. Bei Übergewicht und Adipositas haben wir zudem gute Erfahrungen mit dem Einsatz einer begleitenden Mahlzeitenersatztherapie. Individuelle Besonderheiten (Essstörungen, Adipositas, Krankheitsängste, Spritzenphobien) werden von Anfang an im Dialog mit den PatientInnen berücksichtigt. 

Eine Auswertung der Behandlungsergebnisse zeigt, dass auch bei PatientInnen mit langjährig schlechten Blutzuckerwerten infolge psychischer Erkrankung eine deutliche Verbesserung von Lebensqualität und Diabetesmanagement möglich ist. Dies ist sicherlich der größte Vorteil eines ganzheitlichen Therapieansatzes: Das Risiko Diabetes bleibt immer im Blick!

 

Therapie in der Oberberg Fachklinik Rhein-Jura Sie können sich jederzeit vertrauensvoll an uns wenden

Sie haben weitere Fragen? Egal, ob Sie etwas zu unserem Therapieangebot, zur Kostenübernahme oder der Zimmerausstattung wissen möchten – zögern Sie nicht, Kontakt mit uns aufzunehmen. Wir helfen Ihnen gerne weiter und sind zu jeder Tages- und Nachtzeit für Sie erreichbar. 

 

Telefon: +49 7761 911911-0

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PatientInnen die sowohl an Depressionen wie auch an Diabetes leiden, bedürfen unserer besonderen Fürsorge. Beide Erkrankungen gehen oft Hand in Hand und müssen gemeinsam behandelt werden. Insbesondere Psychopharmaka müssen passgenau auf die PatientInnen abgestimmt werden.
Priv.-Doz. Dr. med. Andreas Jähne
Chefarzt und Ärztlicher Direktor Oberberg Fachklinik Rhein-Jura und Tagesklinik Lörrach