10.02.2021

Warum „The Queen‘s Gambit“ eine Geschichte über die Stärke der menschlichen Psyche ist

Dr. med. Bastian Willenborg, Ärztlicher Direktor der Oberberg Fachklinik Berlin Brandenburg, erklärt Hintergründe zur Sucht

Berlin, 12.02.2021 – Als Netflix die Mini-Serie „The Queen’s Gambit“ – oder im Deutschen „Das Damengambit“ – an den Start brachte, hätten die Macher sich den Erfolg des Schach-Epos wohl kaum vorstellen können: Laut Netflix-Angaben sahen innerhalb der ersten vier Wochen 62 Millionen Haushalte weltweit die Geschichte des Schach-Wunderkindes Beth Harmon. Sie machten die Story zur bisher erfolgreichsten Miniserie der Streaming-Plattform.
 

Erzählt wird die Geschichte des Waisenmädchens Beth Harmon, die in den späten fünfziger Jahren in einem Waisenhaus in Kentucky aufwächst und dort ihr Talent für das Schachspiel entdeckt. In einer überwiegend von Männern dominierten Turnierlandschaft tritt sie an, um Großmeister zu werden. Dabei steht sich die traumatisierte junge Frau mit ihrer Tabletten- und Alkoholsucht oft genug selbst im Weg.
 

„Netflix hat durchaus Erfahrungen mit psychologischen Dramen und musste in der Vergangenheit viel Kritik einstecken, doch in diesem Fall hat der Streaming-Dienst bei der Darstellung des Selbstfindungskampfes der Titelheldin tatsächlich vieles richtig gemacht“, betont Dr. med. Bastian Willenborg, Psychiater und Ärztlicher Direktor der Oberberg Fachklinik Berlin Brandenburg. „Die Entwicklung von Beth Harmon zeigt, wie widerstandsfähig die menschliche Psyche ist und dass wir Traumata und Sucht überwinden können.“
 

Beth wächst unter schwierigsten Umständen heran. Ihr Vater, mit dem ihre Mutter nicht verheiratet ist, erkennt sie nicht an. Ihre Mutter bringt sich – so scheint es – durch einen provozierten Autoumfall ums Leben. Beth war im Wagen. Das Waisenhaus, das Beth aufnimmt, stellt die Kinder mit Psychopharmaka ruhig, doch bietet kaum emotionale Wärme oder Unterstützung. „Beth kann ihr Trauma in jungen Jahren nicht verarbeiten, sie weicht auf Drogen aus. Ihre Beruhigungsmittelabhängigkeit prägt sie so sehr, dass sie später davon überzeugt scheint, nur mit Tabletten gutes Schach zu spielen – eine klassische Suchtentwicklung“, erklärt Suchtexperte Willenborg.
 

Nachdem Beth eine Adoptivmutter findet, verstärkt sich ihr Suchtverhalten, da diese unglücklich in einer lieblosen Ehe lebt und selbst regelmäßig zu Beruhigungsmitteln und Alkohol greift. Die Adoptivmutter beginnt im Laufe der Zeit, das Schachtalent von Beth und ihren Willen zum Sieg anzuerkennen und fördert sie sogar. Zwischen den beiden Frauen entwickelt sich eine enge Bindung. Auf einer Schachreise verstirbt die Adoptivmutter. Ohne emotionalen Halt trinkt Beth massiv, probiert Drogen und unverbindlichen Sex. Sie beginnt, wichtige Spiele auf dem Weg zur Weltmeisterschaft in Moskau zu verlieren. „Ein Teil dieser Entwicklung ist durchaus normal, weil sich junge Menschen ausprobieren müssen, um erwachsen zu werden, aber Beth ist durch ihre bisherige Lebenserfahrung emotional unterentwickelt und durch ihre Prädisposition massiv gefährdet“, weiß Willenborg.
 

An diesem Tiefpunkt ihres jungen Lebens taucht die Jugendfreundin aus dem Waisenhaus bei Beth auf und zwingt diese, sich damit auseinanderzusetzen, dass ihre persönliche Krise zu einem Teil den Umständen geschuldet, zum anderen Teil aber selbst verantwortet ist. „Beth bringt einen Wesensvorteil mit, sie ist hartnäckig, intelligent, in mathematischer Hinsicht vielleicht sogar hochbegabt. Sie erkennt, dass sie an sich selbst wachsen kann, emotionale Nähe zulassen muss, um gesund zu werden, und Hilfe annehmen darf. In der Psychologie sind dies wissenschaftlich belegte Faktoren, die psychische Resilienz begünstigen“, erklärt der Psychiater. „Hinzu kommt, dass das Schachspiel sie herausfordert und sie durch die Mitspieler der Turniere Anerkennung und Bestätigung erfährt.“
 

Beth erkennt, dass ihre Fähigkeit, Schachspiele im Kopf zu visualisieren und damit die Konsequenzen der Züge ihrer Gegner berechnen zu können, auch ohne Drogen bestehen bleibt. Ihr wahres kognitives Potenzial entwickelt sie erst, als sie abstinent wird. Zum großen Finale der Miniserie kämpft Beth in einem zweitätigen Match gegen den russischen Großmeister Borgov. Während der Spielunterbrechung entdeckt Beth, dass aus den Weggefährten der in ihrer Jugend gespielten Schachturniere nicht nur Förderer ihres Talents geworden sind, sondern wahre Freunde. Sie helfen ihr dabei, Borgov schließlich zu besiegen.
 

Dazu Willenborg: „Beth findet ihren emotionalen Halt in einem System aus Freunden und Förderern, die Vergangenes vergeben, sowie Bestätigung und Selbstbewusstsein im Schachspiel. Sie erkennt, dass dies ihr die Stärke gibt, ihre Sucht zu überwinden und die Verantwortung für sich und ihr Schicksal selbst zu übernehmen. Damit ist ,The Queen’s Gambit‘ nicht nur ein Paradebeispiel für jedes Psychologie-Lehrbuch, sondern zeigt auch die Kraft und Widerstandsfähigkeit der menschlichen Psyche. Manchmal braucht es eben etwas Hilfe, diese zu entdecken.“
 

Das Fazit des Experten der Oberberg Gruppe: „Es ist niemals zu spät, sich offen und ehrlich seinem Suchtproblem zu stellen und aktiv dagegen anzugehen – denn es gibt immer einen Weg zurück in ein normales Leben. Manchen Menschen genügen dafür bereits der Austausch und die Unterstützung anderer.“ Auch eine ambulante Therapie bei einem erfahrenen Suchttherapeuten bzw. Psychologen kann zu einem Leben ohne Sucht führen, ebenso wie die Kombination aus einer stationären Kurzzeittherapie, der eine längere ambulante Nachsorge am Wohnort folgt, um die Resilienz gegen die Sucht zu stärken.
 

Je nachdem, wie weit eine Abhängigkeitserkrankung fortgeschritten ist, sollten sich die Betroffenen überlegen, eine stationäre Therapie dahingehend zu nutzen, einmal genauer hinzusehen und ihre Gefühlswelt näher kennenzulernen, um sich dann drei – entscheidende – Fragen ehrlich zu beantworten:

  • Was hat mir meine Sucht gebracht? Welche sind die positiven Aspekte?
  • In welchen Lebensbereichen hat mir meine Sucht geschadet?
  • Was muss ich ändern, damit es mir auch ohne den favorisierten Suchtstoff gut geht?

Mehr Infos https://www.oberbergkliniken.de/krankheitsbilder/abhaengigkeitserkrankungen

 

Medienkontakt
HOSCHKE & CONSORTEN
Public Relations GmbH 
Telefon: +49 (40) 36 90 50 32
Mail: oberberg@hoschke.de
www.oberbergkliniken.de