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Das Cave-Syndrom: Soziale Anpassung in der Pandemie

Der wegen der Corona-Pandemie verhängte Lockdown war mit vielen Einschränkungen für jede/n Einzelne/n verbunden. Manche Menschen leiden noch heute unter gesundheitlichen Folgen, die durch die physische Isolation und weitere Maßnahmen ausgelöst, verursacht oder verstärkt wurden. Eine dieser Folgen stellt die Schwierigkeit dar, nach Ende des Lockdowns und der physischen Isolation wieder in einen sozialen Alltag zurückzufinden. Das durch Angst begründete weitere Fernbleiben vom gesellschaftlichen Leben wird als Cave-Syndrom bezeichnet. Dabei handelt es sich nicht um eine Erkrankung. Ein Cave-Syndrom kann jedoch ebenso mit einem Leidensdruck einhergehen und Konsequenzen nach sich ziehen. In manchen Fällen kann eine Psychotherapie indiziert sein, um den Übergang zur Normalität wiederzufinden.

Das Cave-Syndrom: Symptome und Entstehung

Die Bezeichnung „Cave-Syndrom“ leitet sich vom englischen Begriff „Cave“ für „Höhle“ ab. Sie bezeichnet ein Phänomen, das umgangssprachlich auch als „Höhlensyndrom“ bekannt ist. Menschen mit einem Cave-Syndrom haben nach dem pandemischen Lockdown, also einer längeren Zeit des physischen Rückzugs und häufig einer reduzierten Anzahl sozialer Kontakte Schwierigkeiten, wieder zur Normalität zurückzukehren und Kontakte zu pflegen.

Das vordergründige Symptom eines Cave Syndroms ist die Anhedonie sozialer Aktivitäten, also dem Verlust der Fähigkeit an früher Freude bereitenden, sozialen Aktivitäten wieder Freude zu empfinden. Es kommt bei Betroffenen zur Aufrechterhaltung des gesellschaftlichen Rückzugs, trotz der Beendigung der pandemischen Kontaktbeschränkungen. Davon betroffen sind Kontakte zu FreundInnen, Verwandten, Vereinen und Verbänden und auch die Arbeitswelt.

Des Weiteren können bei einem Cave-Syndrom Symptome wie einer Angst das Haus zu verlassen, Angst vor sozialen Interaktionen in der Realität, Zuhause zu bleiben als Gewohnheit, eine Abnahme von Freundschaften/Kontakten und weitere auftreten.

Das Cave-Syndrom ist ein vorübergehendes postpandemisches Anpassungssyndrom. Es ist keine Erkrankung, sondern eine Anpassungsreaktion auf eine veränderte Lebenssituation. Nach einer Übergangszeit gelingt es den Betroffenen wieder, in die Öffentlichkeit zurückzukehren und am gesellschaftlichen Leben aktiv teilzunehmen. Einige Betroffene laufen jedoch Gefahr der zunehmenden oder bleibenden sozialen Isolation, sofern sich ihr Rückzugsverhalten stabilisiert und zur Gewohnheit wird, oder andere psychische Symptome oder Erkrankungen verstärkt oder ausgelöst werden.

Ursachen eines Cave-Syndroms

Soziale Beziehungen sind für den Menschen essenziell. Sie führen zu vielerlei Fähigkeiten, wie beispielsweise einem besseren Bewältigungsverhalten, können den Selbstwert stärken und neben der seelischen Gesundheit auch die physische Gesundheit eines Menschen positiv beeinflussen. Durch die Abnahme der sozialen Kontakte, sowie dem Hinzukommen von weiteren Faktoren, wie physischer Distanzierung, Risiken einer akuten Infektion, gesundheitliche Infektionsfolgen, erlebter Kontrollverlust, materielle und finanzielle Einbußungen und weiteren, haben psychische Störungen und Symptome generell zugenommen.

Eine Ursache des an Prävalenz zunehmenden Cave-Syndroms liegt in der Corona-Pandemie und den damit verbundenen Kontaktbeschränkungen. Durch das Vermeiden von physischen sozialen Kontakten während der Pandemie kam es zu einem Rückzug in die Häuslichkeit. Die Angst vor dem Virus, der Erkrankung und den Folgen wie einem Long-Covid-Syndrom könne dazu beitragen, dass Menschen ein Cave-Syndrom entwickeln.

Die Verhaltensweisen, wie sie das Cave-Syndrom beschreibt, sind nicht neu. Menschen oder sogar allgemein Lebewesen zeigen nach einer längeren Phase von sozialer Isolation häufig Auffälligkeiten. Das Anpassungsmuster, das durch die Isolation entstanden ist, wird häufig fortgesetzt, auch wenn dies objektiv nicht mehr gerechtfertigt ist. Bei einem Cave-Syndrom kann es so beispielsweise zu einer automatisierten Wahrnehmung von Gefahr weiterhin kommen und die Isolation von anderen deshalb mehr oder weniger bewusst fortgesetzt werden. Noch immer ist bei den Betroffenen die Angst vor einer Infektion präsent.

Das Cave-Syndrom in Abgrenzung zur sozialen Phobie und schizoiden Persönlichkeitsstörung

Die Grenzen zwischen einem Cave-Syndrom und einer sozialen Phobie sind teils fließend. Eine soziale Phobie ist die Angst vor gesellschaftlichen und leistungsbezogenen Situationen. Betroffene meiden daher häufig soziale Kontakte und Situationen, in denen sie bewertet werden können oder müssen. Anderenfalls haben sie einen hohen Leidensdruck in diesen Situationen. Personen mit einem Cave-Syndrom unterscheiden sich von jenen mit einer sozialen Phobie, indem sie keine Angst vor Bewertungen durch andere in einem pathologischen Ausmaß haben oder vor anderen Personen generell, sondern vielmehr davor, dass diese eine infektiöse Gefahr darstellen könnten und sie deshalb lieber zuhause, auf physische Distanz, gehen.


Bei einer schizoiden Persönlichkeitsstörung haben Menschen ein dauerhaft geringfügiges Interesse an sozialen Kontakten oder gefühlsintensiven Beziehungen und bevorzugen es allein zu sein. Sie isolieren sich aus eigenem Antrieb und pflegen keine oder nur wenige Kontakte mit anderen. Ein Leidensdruck liegt bei ihnen subjektiv nicht oder nur in geringem Umfang vor, da für sie keine Vorteile in Interaktion mit anderen erlebt werden. Das Cave-Syndrom unterscheidet sich von der Schizoidie dahingehend, dass Betroffenen Angst vor physischen sozialen Kontakten haben und sich deshalb zuhause zurückziehen. Sie haben diese vor des Cave-Syndroms aber als Freude bereitend empfunden.
 

Häufigkeit des Cave-Syndroms in der Gesellschaft 

  • Genaue Angaben, wie viele Menschen unter dem Cave-Syndrom leiden, liegen nicht vor. Laut einer amerikanischen Studie aus dem Jahr 2021 fühlen sich 46 Prozent der befragten Erwachsenen unwohl mit der Rückkehr in den vorpandemischen Alltag. 49 Prozent gaben an, Schwierigkeiten zu haben, zwischenmenschliche Beziehungen aus der Nähe wieder zuzulassen. Dieses Phänomen tritt unabhängig von einer Schutzimpfung auf und generationsübergreifend.
  • Einer deutschen Studie zufolge fiel es etwa 50 Prozent der unter 27-jährigen schwer, wieder in face-to-face Interaktionen zu haben und gaben an es als Stress zu empfinden, wieder Freizeitaktivitäten ausleben zu können. 9 Prozent der Älteren würden am liebsten ihren Pandemie-Alltag weiterführen.

Besonders gefährdete Personen für ein Cave-Syndrom

  • Untersuchungen zeigen, dass am stärksten Menschen gefährdet sind ein Cave-Syndrom zu entwickeln, die Schwierigkeiten haben, sich an neue Situationen anzupassen.
  • Auch diejenigen, die emotional stark unter der Corona-Pandemie gelitten haben, sind oft höher gefährdet. Ebenso Menschen, die bereits vor der Pandemie verhältnismäßig wenige Kontakte hatten und/oder generell ängstlicher sind, haben ein erhöhtes Risiko ein Cave-Syndrom zu entwickeln.
  • In Hochinzidenzgebieten, in denen die Kontaktbeschränkungen aufgrund der zahlreichen Corona-Infektionen mitunter extrem waren, ist das Verhaltensmuster des Cave-Syndroms verstärkt zu beobachten.
  • Ebenso gelten Menschen, die starke Befürchtungen vor erneuten pandemischen Beschränkungen haben, als gefährdeter.
  • Bei bereits bestehenden psychischen Erkrankungen wie einer posttraumatischen Belastungsstörung oder sozialen Ängsten mit einer Vermeidungstendenz wird ebenfalls von einem höheren Risiko für ein Cave-Syndrom ausgegangen.

Die Hinweise zu Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche sind komplex. Einerseits haben sich die Anzahl der jungen Menschen, die in Folge der Corona-Pandemie psychische Auffälligkeiten oder Erkrankungen entwickelt haben, gesteigert. Ebenso gibt es jedoch Hinweise, dass sich Kinder und Jugendliche schneller auf neue Gegebenheiten umstellen können und generell weniger Anpassungsprobleme auftreten. Belegt ist, dass Kinder und Jugendlichen zu emotionalen Störungen durch Pandemie neigen, da der für ihre Entwicklung nötige persönliche Freiraum und die sozialen Kontakte fehlen.

Warnzeichen für ein Cave-Syndrom

Das Cave-Syndrom oder Anzeichen dafür zeigen sich darin, dass Betroffene starke Angst haben, soziale Kontakte in Präsenz zu pflegen und sich dafür entscheiden, lieber zuhause zu bleiben. Sie kehren nicht in den vorpandemischen Alltag in Mitte der Gesellschaft zurück. Es kann sein, dass Betroffene infolgedessen Konflikte mit ihren Mitmenschen haben, wenn sie auf kein Verständnis bei diesen stoßen oder nicht kommunizieren, weshalb sie keine Verabredungen wahrnehmen wollen. Dies kann zu einem Verlust von Kontakten oder Freundschaften führen.

Ein weiteres Warnsignal kann sein, wenn zur Gewohnheit wird zu Hause zu bleiben. Dies gilt für die Freizeitaktivitäten, Geburtstage, Feiern, Fortbildungen, besondere Anlässe, freie Wochenende und viele weitere Situationen, in denen der/die Betroffene vor der Pandemie gerne etwas unternommen hat mit seinen/ihren Bezugspersonen.

Es können Beschwerden von Depressionen, Phobien, Ängsten und Suchtverhalten neben dem sozialen Rückzug und der Antriebslosigkeit zunehmen. Eine professionelle Abklärung und das Suchen von Unterstützung wird in diesen Fällen empfohlen.

Behandlung eines Cave-Syndroms

Eine Behandlung des Cave Syndroms ist nicht immer erforderlich, da es sich zumeist um einen vorübergehenden Zustand handelt. Ist die Lebensqualität jedoch stark eingeschränkt und manifestiert sich das Cave-Syndrom, sodass es für die Betroffenen dauerhaft schwierig ist, wieder am normalen Leben teilzunehmen, empfiehlt sich eine Therapie. Dies kann beispielsweise eine Psychotherapie in Form von Einzelgesprächen sein, oder in einer Verhaltenstherapie, in der neue Verhaltensmuster eingeübt werden können. Eine Psychotherapie bei einem Cave-Syndrom kann beispielsweise folgende Elemente zur Behandlung beinhalten:

  • Planung und Teilnahem von sozialen Aktivitäten
  • Psychoedukation
  • Positive Psychotherapie wie das Verstärken sozialen Erlebens
  • Aktivierung von Ressourcen
  • Verbesserung der Funktionalität der Interaktionen mit der Umwelt
  • Aufmerksamkeitstraining
  • Videofeedback
  • Verhaltensexperimente zu eigenen Erwartungen
  • Verhaltensaktivierung

Das Besuchen eine Gruppentherapie oder Selbsthilfegruppe kann hilfreich sein, um sich mit anderen Betroffenen eines Cave-Syndroms auszutauschen. Das Lernen, die Ängste in einen rationalen Zusammenhang zu bringen, stellt häufig ein Therapieziel dar.

Zusammengefasst ist das Cave-Syndrom ein subklinisches Phänomen, das nur bei starken Beeinträchtigungen wie einer Depression, sozialen Anpassungsstörung oder einer Angststörung eine Behandlung erfordert. Es ist nicht als Störung anzusehen und normalisiert sich häufig. Um Symptome abzuklären oder Unterstützung bei einem lange andauernden Cave-Syndrom zu erhalten, kann eine Kontaktaufnahme zu ÄrztInnen und PsychotherapeutInnen empfohlen werden.

 

Kontaktaufnahme zu den Oberberg Fachkliniken

Die hier dargestellten Informationen zum Cave-Syndrom ersetzen keine Diagnostik oder Therapie. Sollten Sie Unterstützung benötigen, Fragen haben oder Informationen wünschen, wenden Sie sich gerne an uns!

Wir behandeln und unterstützen, in den Oberberg Fach- und Tageskliniken für Stressmedizin, Psychosomatik, Psychiatrie und Psychotherapie, Menschen jedes Alters in schweren seelischen und psychischen Krisensituationen. Dazu bieten wir zahlreiche moderne Behandlungsmethoden basierend auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen an. Die Bedürfnisse und Wünsche unserer PatientInnen berücksichtigen wird, sowie die Individualität jedes/jeder Einzelnen.

Treten Sie mit uns in persönlichen Kontakt unter der gebührenfreien Telefonnummer 0800 5577330 (außerhalb Deutschlands wählen Sie bitte 

+49 30 20867301-0). Wenn Sie einen Rückruf für ein persönliches Gespräch vereinbaren möchten, füllen Sie bitte hier das Kontaktformular aus. Wir werden uns schnellstmöglich bei Ihnen melden.

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