30.06.2021

Nur ängstlich oder krank vor Angst?

Dr. med. Willenborg zum Unterschied zwischen der Basisemotion und Erkrankung und Wegen aus der Angst

Berlin, 30. Juni 2021. Jeder Mensch hat manchmal Angst. Das ist ganz natürlich, denn Angst ist eine Basisemotion, die für das Überleben wichtig ist. Reaktionen wie Herzrasen, schnelle Atmung und Schwitzen lösen automatisch einen Verhaltensimpuls aus, die „fight, flight, freeze“-Reaktionen, also zu kämpfen, zu fliehen oder zu erstarren. Dies sind oftmals sinnvolle Reaktionen des Körpers, um auf etwaige Gefahren zu reagieren.

Angst ist keineswegs nur negativ besetzt. Die körperlichen Reaktionen der Angst können in einem besonderen Kontext, wie z.B. Achterbahnfahren oder Fallschirmspringen, auch als angenehm empfunden werden. „Angst kann, je nachdem, wie sie bewertet wird, eine unterschiedliche Konnotation haben“, betont Dr. med. Bastian Willenborg, Ärztlicher Direktor und Chefarzt der Oberberg Fachklinik Berlin Brandenburg und der Oberberg Tagesklinik Kurfürstendamm.

Wann aber wird aus Angst eine Angststörung? Zum einen, wenn die Angst im Vergleich zur tatsächlichen Bedrohung unangemessen oder deutlich übertrieben wahrgenommen wird. Zum anderen, wenn sie zu einer erheblichen körperlichen Reaktion führt, die Einschränkungen in ganz unterschiedlichen Lebensbereichen nach sich zieht.

Angsterkrankungen sind Erkrankungen, die häufig auftreten. Etwa 15 Prozent der Deutschen haben im Laufe eines Jahres einmal mit einer Angststörung, also einer Panikstörung, einer generalisierten Angststörung oder Phobien und den negativen Folgen dieser Erkrankungen zu kämpfen. Die Dunkelziffer könnte allerdings noch höher liegen. Die meisten Betroffenen entwickeln die typischen Symptome einer Angststörung im Alter zwischen 20 und 30 Jahren. Der Anteil der Frauen, die an Angst- und Panikstörungen leiden, ist dabei ungefähr doppelt so hoch wie die Zahl der männlichen Betroffenen.

„Die generalisierte Angststörung kann im Zuge der aktuellen Pandemie eine wichtige Rolle spielen“, sagt Dr. med. Willenborg, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. „Diese Erkrankung ist durch eine anhaltende Angst und exzessive Besorgnis in Bezug auf ganz unterschiedliche Lebensbereiche gekennzeichnet, wie Familie, Finanzen, Arbeit, Gesundheit. Die generalisierte Angst führt dazu, dass eine gesteigerte Aufmerksamkeit auf negative Prozesse gelegt und Positives nicht mehr gesehen wird“, führt der Experte weiter aus. Sie neigt zu einem chronischen Verlauf.

„Watchful Waiting“
Was vielen Angsterkrankungen gemeinsam ist, ist der Zusammenhang zwischen Anspannung und Stress einerseits und Angst und Angstattacken andererseits. Je höher die Grundanspannung bei einem Menschen ist, desto geringer müssen alltägliche Stressoren, beispielsweise Zeitdruck bei der Arbeit oder Stadtlärm, ausgeprägt sein, um die Angstschwelle zu durchbrechen.

„Viele ängstliche Reaktionen sind vielleicht erstmal nicht krankheitswertig“, so Dr. med. Willenborg. Als erster Schritt empfiehlt sich „Watchful Waiting“. Dies bedeutet, dass man in Kontakt bleibt und erstmal schaut, ob oder wie sich die ängstlichen Reaktionen im Verlauf entwickeln.

Bei der Behandlung von generalisierten Angsterkrankungen gilt es, Sorgen zu konkretisieren und zu verbildlichen, um eine emotionale Verarbeitung zu ermöglichen. In der Therapie werden mit den Patienten unter anderem Positiv-Assoziationen geübt sowie Problemlösefertigkeiten und Entspannungsverfahren trainiert. Ein Bestandteil der Therapie ist zudem die Arbeit mit Wahrscheinlichkeiten. „Patienten sollen hinterfragen, ob ihre Reaktion angesichts der Wahrscheinlichkeit adäquat ist. Auch die Konfrontation mit den Sorgen ist ein wichtiges Mittel, denn Sorgen zu konkretisieren sorgt für Reduktion von Bedrohlichkeit“, erklärt Dr. med. Willenborg. Die Idee dahinter: Auch die Vorstellung des schlimmsten möglichen Zustandes erzeugt irgendwann nicht mehr das Maximum an Angst, Gewöhnung findet statt. Letztendlich ist aber auch die Akzeptanz eines Restrisikos in der Therapie wichtig.

Die „Angst vor der Angst“ verlieren
Bleibt eine Angststörung unbehandelt, kommt es häufig zur Chronifizierung der Angstzustände, was mit großen Einschränkungen und zunehmenden Belastungen einhergehen kann. Zumeist entwickelt sich eine „Angst vor der Angst“, die sich stetig verstärkt.

Angststörungen lassen sich in der Regel jedoch sehr gut durch geeignete Psychotherapien behandeln. Die meisten Betroffenen verlieren ihre „Angst vor der Angst“ und verhindern oder durchbrechen damit den Teufelskreis von Vermeidungsverhalten. Sollten die Ängste dennoch sporadisch erneut auftreten, erreicht die Therapie häufig mit nur wenigen weiteren Sitzungen („Booster“) und der selbstständigen Anwendung von förderlichen Denk- und Verhaltensweisen rasch einen Rückgang der Krankheitssymptome (Remission).

Mehr zu Angststörungen unter https://www.oberbergkliniken.de/krankheitsbilder/angststoerung oder als Vortrag von Dr. med. Willenborg im Rahmen der Reihe der Oberberg Kliniken „Pandemie und Psyche“ nachzuschauen in der Mediathek: https://www.oberbergkliniken.de/veranstaltungsreihe-pandemie-und-psyche/mediathek

Buchtipp
Mehr zum Thema gibt es in dem 200-seitigen Buch „Psychische Erkrankungen – und die Auswirkungen einer Pandemie“. Erhältlich bei Elsevier für 24 Euro. Herausgeber: Prof. Dr. med. Dr. rer. Nat. Dipl.-Psych. Matthias J. Müller und Prof. Dr. med. Mathias Berger

Über die Oberberg Gruppe: Die Oberberg Gruppe mit Hauptsitz in Berlin ist eine vor mehr als 30 Jahren gegründete Klinikgruppe mit einer Vielzahl an Fach- und Tageskliniken im Bereich Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie an verschiedenen Standorten Deutschlands. In den Kliniken der Oberberg Gruppe werden Erwachsene, Jugendliche und Kinder in individuellen, intensiven und innovativen Therapiesettings behandelt. Darüber hinaus existiert ein deutschlandweites Netzwerk aus Oberberg City Centers, korrespondierenden Therapeuten und Selbsthilfegruppen.

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