09.10.2019

Trotz oder wegen Digitalisierung und Flexibilisierung: Macht Arbeit krank?

Eigentlich sollen Digitalisierung und Flexibilisierung der Arbeit dabei helfen, das tägliche Pensum schonender zu schaffen. Doch obwohl die Flexibilisierung der Arbeitszeiten zunimmt, haben Fehlzeiten und Frühverrentungen wegen psychischer Erkrankungen zugenommen.

Der hochqualifizierte KFZ-Meister, der zum Geschäftsführer eines Autohauses ernannt wird, obwohl er keine Erfahrung als Führungskraft besitzt, die umsatzstarke Außendienstmitarbeiterin, die als Vertriebsleiterin in den Innendienst befördert wird, sich aber am Schreibtisch und in Meetings einfach nicht wohlfühlt, oder der Manager, der nach vielen arbeitsreichen Jahren in Rente geht… Die Auslöser für Stress sind vielfältig: erfolgreich zu sein und vorwärtszukommen, nichts auszulassen und dafür alles mitzunehmen, dabei fitter und schlauer zu werden (Selbstoptimierung) und rund um die Uhr mobil erreichbar zu sein. Das alles erzeugt permanenten Druck. Hinzu kommt die Angst vor einem Burnout, denn dieses Phänomen arbeitet mit.
 

Verdacht auf Burnout. Soll ich mich sofort krankschreiben lassen?

Die drei Hauptsymptome, die Burnout-Patienten immer wieder erwähnen:
• starke körperliche und seelische Erschöpfung
• Zynismus gegenüber der Arbeit, Kollegen oder Kunden
• Ineffektivität des beruflichen Handelns und Verlust der beruflichen Kompetenz

Dr. Bastian Willenborg, Ärztlicher Direktorder Oberbergklinik Berlin/Brandenburg, rät: „Solange keine ausgeprägte Depression oder eine andere psychische Erkrankung vorliegt – was durch den Hausarzt, einen Facharzt oder einen Psychologischen Psychotherapeuten festgestellt oder ausgeschlossen werden kann – sind Krankschreibungen nicht sinnvoll, sondern tragen leider eher zu einer Verschärfung oder zeitlichen Verschiebung der beruflichen Konflikte bei.“

Menschen unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich ihrer psychischen Widerstandskraft, sondern auch ihres strategischen Verhaltens bei der Frage, wie sie mit außergewöhnlichen Belastungen oder neuen Herausforderungen im Beruf, aber auch häufig im Privatleben, auf Dauer zurechtkommen.

Dr. Willenborg, Experte für Burnout-Therapien, weiß: „Während die einen den empfundenen „chronischen Stress“ erstaunlich mühelos wegstecken und selbst in den brenzligsten Situationen ihre emotionale Kontrolle behalten, brechen andere bereits unter weitaus geringeren Anforderungen regelrecht zusammen. Zwar versuchen die Letzteren dann häufig, den Schein zu wahren und ihre zunehmenden physischen und seelischen Beschwerden mit Beruhigungs- und Schlaftabletten, Aufputschmitteln oder Alkohol zu kompensieren. Aber das geht in der Regel schief – und so nehmen sie Kurs auf ein Burnout-Syndrom und Stressfolgeerkrankungen.“

Burnout-Therapie ist nicht gleich Burnout-Therapie. Worauf Sie unbedingt achten sollten.


Mittlerweile ist eine regelrechte Behandlungs-Industrie entstanden. Doch viele „Coaches“ oder „Burnout-Berater“ vermitteln ihren Klienten häufig den Eindruck, dass Wellness-Angebote und gesundes Essen, Sport und Yoga, Entspannungs- und Atemübungen und ein vernünftiges Zeitmanagement ausreichen, ein Burnout-Syndrom zu eliminieren und sicherzustellen, dass psychische und körperliche Folgeerkrankungen gar nicht erst entstehen können.

Dr. Bastian Willenborg warnt: „Es ist nicht sinnvoll, nur an den Symptomen bzw. Beschwerden herumzudoktern und die chronisch erschöpften Menschen lediglich darauf vorzubereiten, die krankmachenden Konstellationen weiterhin zu tolerieren, um dann wieder in die „Stress-Spirale“ zurückzukehren. Ganz gleich, ob es sich dabei um eine Überforderung im Berufs- oder im Privatleben handelt.“ Außerdem wächst aus Expertensicht so die Gefahr, dass die Betroffenen evidenzbasierte Therapien nicht für nötig erachten oder sie ihnen sogar vorenthalten werden.

Ärzte und andere professionelle Therapeuten dagegen können sicherstellen, dass mit störungsspezifischen Behandlungskonzepten nicht nur die Ressourcen der Patienten verbessert werden, sondern auch, dass überdauernde ungünstige „Muster“ erkannt und verstanden werden, damit nach der Therapie ein verändertes Umfeld zur Verfügung steht, dem sie sich gewachsen fühlen, was das Risiko eines wiederkehrenden Burnout-Syndroms – mit seinen Folgeerkrankungen – minimiert.
 

Burnout-Syndrom und Depression. Achtung, Verwechslungsgefahr!


Das Burnout-Syndrom wird häufig als Krankheit mit Symptomen wie Depressivität, Suizidalität, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen beschrieben, oder als Synonym für Depressionen – vor allem bei Managern. Im Grunde wird so ziemlich alles, was bei der Arbeit mit Stress, Ermüdung oder Motivationsverlust einhergeht, mit dem Burnout-Syndrom gleichgesetzt. Doch aus medizinisch-wissenschaftlicher Sicht stimmt das nicht, weiß Dr. Willenborg:

• Ein Burnout-Syndrom ist nicht gleichbedeutend mit einer Depression oder einer anderen psychischen Erkrankung.
• Die Gleichstellung eines Burnout-Syndroms mit psychischen Krisen und Erkrankungen, die im zeitlichen Zusammenhang mit einer Arbeitsüberlastung auftreten, ist inkorrekt.
• Die Ansicht, beim Burnout-Syndrom handele es sich um die Ursache des durch psychische Störungen bedingten Anstiegs von Krankschreibungen und Frühverrentungen, die nur vom Gesundheitssystem zu verhindern sei, ist falsch.

Zwischen den Symptomen eines Burnout-Syndroms und einer Depression gibt es zahlreiche Überschneidungen, wie zum Beispiel Antriebslosigkeit, Schwermut, niedergedrückte Stimmung oder starke, erhöhte Müdigkeit. Auch flüchten Patienten häufig in eine soziale Isolation. Ständige Gereiztheit ist dagegen symptomatisch für ein Burnout-Syndrom. Gleichzeitig tauchen bei einer Depression wiederum Symptome auf, die über das Burnout-Syndrom hinausgehen. Zum Beispiel ein vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen oder Suizidgedanken. Und während ein Burnout-Betroffener sich im Inneren häufig nach etwas sehnt, „was er früher gerne gemacht hat“, können depressive Menschen keine Lust dabei empfinden, überhaupt etwas zu unternehmen. Zudem sind sie häufig sehr verunsichert und unentschieden, was sie machen könnten.
 

WHO: Internationale Klassifikation von Erkrankungen


Ein Burnout-Syndrom gilt als Risikokonstellation für psychische und körperliche Erkrankungen im Zusammenhang mit arbeitsbedingtem Stress, aber (noch) nicht als eigenständige Erkrankung. Dies könnte sich mit der überarbeiteten Klassifikation von Erkrankungen der Weltgesundheitsorganisation (ICD-11, erscheint 2022) ändern: Künftig wird der verbreitete Belastungszustand voraussichtlich als Erkrankung mit drei Symptombereichen (Erschöpfung, negative Haltung zur eigenen Arbeit und reduziertes berufliches Leistungsvermögen) ausschließlich aufgrund von chronischem Stress am Arbeitsplatz, der nicht erfolgreich verarbeitet wird, definiert.

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