Depression

Im Wechselbad der Gefühle – das Leben auf einer Achterbahn: Bipolare Störungen verstehen lernen

Himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt. Das aus Johann Wolfgang von Goethes Trauerspiel „Egmont“ entlehnte geflügelte Wort beschreibt so trefflich wie kein zweites die psychische Erkrankung, die uns als bipolare affektive Störung (BAS) bekannt ist (meist nur kurz als bipolare Störung bezeichnet). Betroffene führen ein Leben in Extremen. Heute unaufhaltsame Energie, Tatendrang, Tausende von Ideen und ansteckend gute Laune. Doch bald darauf der Fall, das auffällige Verpuffen von Energie und Antrieb. Angst und tiefe Traurigkeit übernehmen das Ruder im Gefühlschaos. Wie ist dieses Wechselbad der Gefühle zu erklären? Was hat es mit dieser psychischen Erkrankung auf sich?

Was umfasst das Krankheitsbil der bipolaren Störung?

Bipolare Störungen werden zu den sogenannten Affektstörungen, also den Stimmungsstörungen, gezählt. Betroffene leiden phasenweise an außerordentlich gegenläufigen Ausprägungen von Stimmung, Aktivität und Antrieb. Manische (Hoch-)Phasen wechseln sich mit depressiven (Tief-)Phasen ab, ohne dass dies willentlich kontrolliert werden kann. Zwischen diesen Schüben kehren Menschen mit bipolarer Störung für gewöhnlich in einen unauffälligen Normalzustand zurück. Sind die Hochphasen geringfügig ausgeprägt, werden sie als hypoman bezeichnet, in starker Ausprägung als manisch. Bei schweren Manien können Symptome einer Psychose hinzukommen, etwa Größen- oder Verfolgungswahn. Typische Anzeichen einer Manie sind gesteigerte Aktivität, Rastlosigkeit, Rededrang, Ideen- und Gedankensprünge (sich nicht auf ein Thema fokussieren können), vermindertes Schlafbedürfnis, geringe Konzentrationsfähigkeit, Verlust sozialer Hemmungen, überhöhte Selbsteinschätzung, rücksichtsloses oder tollkühnes Verhalten, gesteigerte Libido. Eine Manie hält mehrere Tage an und kann zunächst auch zu einer Steigerung der Leistungsfähigkeit beitragen, stellt aber ganzheitlich betrachtet eine schwere Beeinträchtigung der Lebensführung dar.

 

Die depressive, auf die Manie folgende Phase bildet die entgegengesetzte Episode des Gemütszustandes. Lähmende, tiefe Traurigkeit legt sich wie ein schwarzer Vorhang auf das Empfinden Betroffener. Typische Anzeichen einer Depression sind: Antriebslosigkeit, Interessenverlust, fehlende Motivation, tiefe Niedergeschlagenheit, Selbstzweifel, Schuldgefühle, Schlafprobleme, Appetitlosigkeit. Nicht zu unterschätzen ist die mit der depressiven Phase einhergehende erhöhte Suizidgefahr, weshalb die BAS auch als schwere psychische Erkrankung eingestuft wird.

Formen einer bipolaren Störung

Der Beginn einer bipolaren Störung liegt meist im jungen Erwachsenenalter (15.–25. Lebensjahr), es handelt sich hierbei um eine Erkrankungsgruppe mit großer epidemiologischer und gesundheitspolitischer Bedeutung. Man geht davon aus, dass von 100 Menschen 1–3 Personen an einer bipolaren Störung leiden. Auch familiäre Verflechtungen sind erkennbar. Angehörige eines Betroffenen (zum Beispiel Kinder) haben ein zehnfach erhöhtes Risiko, ebenfalls zu erkranken.

 

In der Regel unterscheidet man zwischen Bipolar-I- und Bipolar-II-Störungen. Menschen mit einer Bipolar-I-Störung weisen ausgeprägte Manie- und Depressionsphasen auf. Bei der Bipolar-II-Störung wechseln sich depressive Phasen mit den schwächer ausgeprägten manischen Episoden, den Hypomanien, ab. Als Zyklothymia bezeichnet man starke, sich mindestens über zwei Jahre erstreckende Stimmungsschwankungen, die allerdings nicht die Intensität manisch-depressiver Phasen erreichen. Im Grunde handelt es sich dabei also um eine abgeschwächte bipolare Störung. Von Rapid-Cycling-Verlauf spricht man, wenn mehr als vier Krankheitsepisoden pro Jahr zu verzeichnen sind.

Als Ursache wird ein Zusammenkommen mehrerer Faktoren gewertet. Biologische Ursachen wie Genveränderungen oder Modifikationen im Botenstoffsystem des Gehirns und des Hormonhaushalts zählen ebenso dazu wie Umweltfaktoren, etwa permanenter Stress, Verlusterlebnisse oder traumatische Erfahrungen.

Behandlungsmöglichkeiten einer bipolaren Andersartigkeit

Die Behandlung einer bipolaren Störung erfolgt immer individuell und setzt sich in der Regel aus zwei Bausteinen zusammen: einer medikamentösen Therapie und einem psychotherapeutischen Ansatz. Die medikamentöse Behandlung dient der Normalisierung von Stimmung, Antrieb und Schlafrhythmen sowie der Prävention weiterer Krankheitsphasen. Dementsprechend unterscheidet man bei der Medikamentengabe zwischen Akut- und Erhaltungstherapie sowie Phasenprophylaxe. Die Psychotherapie bipolarer Störungen nimmt Einfluss auf die diversen Krankheitsfaktoren, das heißt, sie setzt es sich zum Ziel, Stressfaktoren rechtzeitig zu erkennen und emotionale Probleme zu bearbeiten. Ihre Schwerpunkte liegen dabei auf der Stabilisierung sozialer Lebensrhythmen, der Aktivierung in depressiven und der Reizregulierung in manischen Phasen.

 

Die Deutsche Gesellschaft für Bipolare Störungen e. V. zählt insbesondere folgende Aspekte der Psychotherapie auf:

  • Wiederaufbau der Tagesstrukturierung
  • Erarbeiten eines ausgewogenen Tages- und Nacht-Rhythmus
  • Aufbau von Aktivitäten bei der Depression
  • Reizreduzierung bei der Manie
  • Verbesserung der sozialen Kompetenzen
  • Verarbeitung (Coping) der Erkrankung
  • Erkennen und Reduktion der individuellen Stressfaktoren Erkennen auslösender Situationen für Rückfälle

Ergänzende Behandlungstherapien

Neuere Studien konnten auch die Wirksamkeit sogenannter Lichttherapien bei der Behandlung bipolarer Störungen belegen. Sie kommt verstärkt bei saisonal abhängigen Depressionen zum Einsatz (z. B. Winterdepression), zeigte aber auch Erfolge in der Therapie bei bipolarer Störung: Die Northwestern University in Chicago kam in ihrem Versuch mit 46 Probanden zu dem Ergebnis, dass eine Lichtdusche um die Mittagszeit zu einer überraschend hohen Remissionsrate führt. Auch kontrollierter Schlafentzug (Wachtherapie) und Elektrokonvulsionstherapie (Elektrokrampftherapie) können eine Linderung der Symptome bewirken. Nicht zu unterschätzen ist der Einfluss von gesunder Ernährung und Sport. Regelmäßige Bewegung und eine gesunde Lebensführung stärken nicht nur den Körper und das Immunsystem, sie verbessern auch nachhaltig das Wohlbefinden und steuern so manischen und depressiven Phasen entgegen.

Wie weitermachen mit einer bipolaren Störung?

Bipolare Störungen lassen sich effektiv behandeln, werden Betroffene aber zeit ihres Lebens begleiten. Eine Therapie kann ambulant erfolgen, je nach Intensität der Symptome ist ein stationärer Aufenthalt, wie er bei den Oberbergkliniken möglich ist, in Akutsituationen aber ratsam. Letztere sollte in jedem Fall erfolgen, wenn der Betroffene stark suizidal ist, eine Fremdgefährdung droht oder die Symptomatik der Depression besonders ausgeprägt ist. Bei manischen Anzeichen kann eine stationäre Aufnahme sinnvoll sein, um eine gewisse Reizabschirmung zu gewährleisten. Um den Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen, ist nicht zuletzt die Einstellung der Betroffenen und Angehörigen entscheidend. Gelingt es ihnen, die Krankheit proaktiv und offen anzunehmen, statt passiv zu erleiden, ist ein großer Schritt in Richtung Genesung getan.