Burnout

Verheizt und ausgebrannt – wenn nichts mehr geht, Rhein-Jura Klinik behandelt Burnout Patienten

aus dem Artikel von Petra Kistler (Badische Zeitung, 10.04.2014):

Die Powerfrau spricht immer noch aus Susanne Tief* (Name von der Redaktion geändert). Ohne großes Vorgeplänkel kommt sie auf den Punkt: “Fünf Jahre habe ich durchgehalten – und dabei mich komplett aus dem Blick verloren.”

Sie hat sich mit voller Kraft in eine neue Aufgabe geworfen und unter großen Schwierigkeiten eine pädagogische Einrichtung aufgebaut, sie liebt ihren Beruf. Immer noch. Aber jetzt ist sie erst einmal hier: Seit neun Wochen unterzieht sich Susanne Tief, Jahrgang 1966, in der privaten Rhein-Jura Klinik in Bad Säckingen einer Therapie.

Dass der Arbeitgeber ihr die erforderliche Unterstützung versagt, hat sie lange nicht bemerkt. “Sie machen das doch”, lautete das Kompliment, das sie zu immer neuen Höchstleistungen antrieb. Und “Madame 100 Prozent”, wie sich Susanne Tief mit feiner Ironie selbst beschreibt, funktioniert. Zeigt noch mehr Engagement, bringt noch mehr Leistung. Jahrelang. “Was habe ich mit mir gemacht?”, fragt sie sich heute. “Ich hatte doch ein so sonniges Gemüt.”

Rebelliert ihr Körper, bürdet sie sich noch mehr Arbeit auf. “Du bist jung, du bist dynamisch, du schaffst es”, lautet ihr Erfolgsmantra. Je stressiger die Situation, desto mehr legt sie sich ins Zeug. In den Ferien abschalten, eine Woche daheimbleiben, um neue Kraft zu tanken, die Arbeit nicht nach Hause nehmen – undenkbar für sie. “Ich habe nun mal eine perfekte Ader.” Sie hat einen hohen Anspruch an sich selbst; Neinsagen, das hat sie nie gelernt. Sie ist rund um die Uhr erreichbar, kümmert sich um jedes Detail. Aus der Arbeitswut wird Aktionismus.

Zusammenbruch droht, wenn körperliche Warnsignale ignoriert werden

Natürlich gibt es Warnsignale: Kopfschmerzen, Infekte, Schweißausbrüche, sie schläft schlecht. Als die Erschöpfungsanzeichen nicht mehr zu ignorieren sind, geht Susanne Tief zum Arzt, die Medikamente machen das Leben ein klein wenig leichter. Also arbeitet sie noch mehr. “Ich war öfters kurz vor dem Zusammenbruch. Aber das wollte ich nicht wahrhaben”, erzählt sie. Erst als sie erfährt, dass die sehnlich erhoffte personelle Unterstützung nicht kommen wird, bricht sie zusammen. Und gesteht sich ein: Ich kann nicht mehr. Diagnose des Arztes: stressbedingte Belastungsstörungen, schwere Depression. Sein Rat: “Sie brauchen eine stationäre Behandlung.”

Körperlich und geistig am Ende, lässt sie sich in die Klinik einweisen. Mit dem festen Vorsatz, so schnell wie möglich wieder fit zu werden. “In maximal vier Wochen bin ich wieder zurück”, sagt sie ihrem Mann, als sie ans andere Ende der Republik reist. Es werden wohl 14 Wochen werden. So ehrgeizig, wie sie im Job war, betreibt sie auch das Projekt Genesung. “Ich habe alle Kurse belegt, bin durch den Wald gerannt.” Bis der Körper sie lahmlegt: Eine schwere Erkältung zwingt sie ins Bett. Die Ärzte verordnen ihr eine Woche absolute Ruhe.

Burnout – Modeerscheinung oder Krankheit?

In die Rhein-Jura-Klinik kommen viele, die der Beruf, das Privatleben oder die eigenen Ansprüche so überfordert haben, bis nichts mehr ging. Sie leiden an Burn-out. Was ist das Ausgebranntsein? Eine Modeerscheinung? Ein Etikett für Workaholics? Ein Krankheitsbild?

“Burn-out ist der Zustand, die medizinische Diagnose lautet Depression”, sagt Professor Michael Berner, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und seit vier Jahren ärztlicher Leiter der Akutklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie hoch über Bad Säckingen. Die Abgeschiedenheit ist Programm, denn die Patienten sollen dort vor allem runterkommen, Abstand gewinnen, auf stabile Bahnen zurückfinden.

Powerfrau und Workoholic: Überengagierte Mitarbeiter sind besonders Burnout gefährdert

Michael Berner behandelt moderne Business-Nomaden, die wie George Clooney im Film “Up in the air”, auf der Überholspur durchs Leben rasen und eines Tages aus der Spur geraten. Menschen, die ein hohes Leistungsideal haben, stets am oberen Limit arbeiten und deren Gefühle irgendwo zwischen Flughäfen und Meetings verloren gehen. “Mach’ mal langsamer, auf diese Aufforderung reagieren sie, als ob ein Alien zu ihnen sprechen würde”, sagt Berner. Schließlich war ihre Strategie lange hilfreich. Chefs lieben überengagierte Arbeitnehmer, die alles perfekt erledigen – koste es, was es wolle. Ein Burn-out entsteht nicht über Nacht. Doch viele merken erst, dass sie Hilfe brauchen, wenn sie mit dem Kopf unter dem Arm daherkommen, sagt Berner: “Gerade Männer spielen mit ihrem Kopf sogar manchmal noch Fußball.”

Müdigkeit, emotionale Erschöpfung, innere Leere, Selbstentfremdung und Leistungsabfall sind typische Burn-out-Symptome. Die Betroffenen leiden an Konzentrations- und Schlafstörungen, an Nervosität, Grübelattacken oder einem ständigen Gefühl der Überanstrengung. Viele haben körperliche Malaisen: hoher Blutdruck, Magen-Darm-Krankheiten, Herzrhythmusstörungen oder Tinnitus, das Dauerbrummen im Ohr.

Burn-out ist kein Massenphänomen, doch die Zahl der Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen ist in den vergangenen zehn Jahren um 40 Prozent gestiegen. Depressionen, Angststörungen und Erschöpfungszustände verursachen laut dem Gesundheitsbericht des Bundes zehn Prozent aller Ausfalltage, im Durchschnitt sechs Wochen pro Fall. Sie sind auch dafür verantwortlich, dass Menschen vorzeitig in Rente gehen: 75 000 Menschen meldeten sich zuletzt pro Jahr wegen Depressionen und anderer psychischer Krankheiten vorzeitig in den Ruhestand ab, mehr als je zuvor. Das Durchschnittsalter: 49 Jahre.

Burn-out ist heilbar, Depressionen sind heilbar. Aber wie? Der Behandlungsmix ist so individuell wie die Beschwerden. Wer ständig unter Strom stand, muss lernen, zur Ruhe kommen; wer sich hinter dem Schreibtisch verschanzte, sich in Bewegung setzen. Die Rhein-Jura-Klinik kombiniert Psychotherapie und Medikamente mit einem therapeutischen Sportangebot, Entspannungsverfahren und Achtsamkeitskursen.

Werte und Achtsamkeit helfen aus der Lebenskrise

Wer will ich sein? Was ist mir wichtig im Leben? Was brauche ich, um mich zu erholen und Kraft zu tanken? Menschen, die sich in einer Lebenskrise befinden, sollen lernen, sich diesen Fragen zu stellen – und neue Antworten zu finden.

“Was soll einmal auf Ihrem Grabstein stehen?” Michael Berner konfrontiert seine Patienten gern mit dieser Frage. Der Mensch braucht nicht nur Ziele, er braucht auch Werte, die ihm die Richtung weisen. Darauf basiert auch die neue Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT, gesprochen wie das englische Verb “act”), die den sorgsamen Umgang mit sich selbst (Achtsamkeit) mit der Suche nach individuellen Werten verbindet. Susanne Tief kann ihre Schwachstellen heute klar benennen: Hochspannungstyp, Überengagement, wenig Distanz, ständig auf der Suche nach Optimierung. Sie spürt mittlerweile, wenn sie in den alten Trott verfällt. “Halt, du bist schon wieder am Rennen, du bist wieder zu schnell losgeschossen!” Sie hat erkannt, dass sie nicht immer funktionieren und perfekt sein muss. Dass sie nicht immer kämpfen muss, um ans Ziel zu kommen. Das mag sich einfach anhören, ist aber ein steiniger und schmerzhafter Weg.

Die Klinik ist eine Schutzglocke, im wirklichen Leben geht es ruppiger zu. “Es geht nicht darum, vom Leben als Muschelfischer zu träumen”, spottet Professor Berner, ein überzeugter Anhänger evidenzbasierter Therapien, über Mitbewerber mit wundersamen spirituellen Angeboten. “Draußen wird nicht mit Wattebällchen geschossen.” Um auf Belastungen und Krisen vorbereitet zu sein, sollen die Patienten mit einem kompakten Schatzköfferchen in den Alltag zurückkehren. Sein Inhalt: Strategien, die helfen, die Lebensbalance zu bewahren. Dazu gehören Freundschaften pflegen, sich regelmäßig Pausen gönnen, Zeit für Hobbys und Bewegung finden. Und einen ambulanten Therapeuten, der die Entlassenen daheim begleitet.

“Was tut mir gut?” Diese Frage stellt sich auch Susanne Tief. In der Klinik beginnt sie wieder zu malen, lernt beim Yoga und Tai-Chi das Gedankenkarussell anzuhalten. Eine Frage treibt sie aber immer noch um: Was kann ich beruflich auf Dauer noch machen? Kann ich, will ich zurück ins Hamsterrad?

Ursula Biss (Name von der Redaktion geändert) ist von einer Rückkehr in den Beruf noch weit entfernt. Seit einer Woche ist die junge Frau in der Rhein-Jura-Klinik, sie findet sich gerade so zurecht in den hellen Gebäuden der Klinik. “Arbeiten, arbeiten, arbeiten. Und gejammert wird nicht”, so beschreibt die passionierte Lehrerin das Muster, das sich durch ihr Leben zog. “Ich habe immer hart gearbeitet, ich habe immer noch mehr draufgesattelt.” Alles für ihren großen Traum: Oberstudiendirektorin. Der Aufstieg klappt – und Ursula Biss fällt ins Leere. Sie, die immer für die Schüler und Eltern da sein will, die im Team arbeiten möchte, ist plötzlich Teil der Hierarchie. Sie gerät in Loyalitätskonflikte. Arbeits- und Privatleben werden eines. Wochenende für Wochenende habe sie, Schreibtisch an Schreibtisch mit ihrem Mann, durchgearbeitet, erzählt sie. “Ich bin einem Arbeitswahn verfallen. Ich habe nur noch funktioniert.” Die Kontakte zu ihrem Freundeskreis reduzieren sich auf E-Mails und Telefonate, für den Sport, der ihr einst wichtig war, findet sie keine Kraft mehr. Ihre Konzentrationsschwierigkeiten gleicht sie durch noch mehr Arbeit aus, ist traurig und aggressiv zugleich.

Wege aus der Erschöpfungsspirale finden

Alles zu verschieben, was Erholung bringt, ist typisch für die Erschöpfungsspirale: Morgens wacht man zerschlagen auf, schleppt sich müde und kraftlos durch den Tag, und weil die Arbeit ineffektiv wird, wird noch mehr geschuftet.

“Ich war immer der festen Überzeugung, dass ich mit Liebe und Wertschätzung Berge versetzen kann”, erzählt Ursula Biss. Am Ende kann sie nicht einmal die kleinsten Dinge entscheiden. Sie hat die Kontrolle über ihren Alltag verloren, fühlt sich nur noch leer. “Hatten Sie ein schönes Wochenende?” Die simple Frage einer Vorgesetzten führt zum Zusammenbruch. “Die Tränen liefen. Ich habe eineinhalb Stunden nur geweint, aus mir floss ein Meer.” Sie wird krankgeschrieben, findet schnell einen Therapieplatz in Bad Säckingen. Ursula Biss weiß, dass sie nicht so weitermachen kann. Sie kann bereits darüber reden, ohne dass sie von den Tränen überwältigt wird. Jetzt sucht sie einen neuen Weg. Den Anfang hat sie gemacht.

BZ-Serie “Strategien gegen den Stress”
Viele leiden darunter, alle reden davon: Stress! Eine BZ-Serie stellt Strategien gegen den Stress vor. Die Autoren erklären, was bei Stress im Körper passiert, stellen Entspannungsverfahren wie Progressive Muskelentspannung, Yoga oder Achtsamkeitstraining vor, geben Tipps, die helfen, im Alltag gelassen zu bleiben, erklären, was gesunde Arbeit ist und zeigen, was die Lebenskünstler auszeichnet, die kleine und große Krisen recht unbeschadet überstehen.

Alle Beiträge der Serie unter badische-zeitung.de/strategien-gegen-stress